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Autor: L2019_45_ac

VON ALLWÖRDEN Rechtsanwälte in neuem Büro

Nach einer rund anderthalbjährigen Bauzeit ist unsere Kanzlei Mitte Juni 2020 nun in ihre endgültigen Räumlichkeiten im Carl-Goerdeler-Weg 1 in Stade umgezogen.

Unser Büro befindet sich im neu entstandenen TRAFOHAUS in Stade-Ottenbeck – direkt an der Ecke zum zentralen Heidbecker Damm. Das moderne Bürogebäude wurde nach neusten energetischen und technischen Standards errichtet und bildet eine bauliche Einheit mit dem namensgebenden ehemaligen Trafohaus, einem Baudenkmal im Herzen von Stade-Ottenbeck.

Unser Büro ist selbstverständlich barrierefrei, klimatisiert und verfügt über einen modernen Konferenzraum für bis zu 16 Personen, in dem u.a. auch Videokonferenzschaltungen möglich sind. Parkplätze sind für unsere Mandanten direkt vor der Tür ausreichend vorhanden. Stade-Ottenbeck ist über die B73, die A26 (aus Richtung Hamburg) und mit dem öffentlichen Nahverkehr hervorragend zu erreichen.

Wir freuen uns sehr, Sie ab sofort in unseren neuen Kanzleiräumlichkeiten begrüßen zu dürfen!

Zur Vergütungshöhe bei nachträglichem Arbeitnehmerstatus (Scheinselbstständigkeit)

Es kommt nicht selten vor, dass freie Mitarbeiter oder die Rentenversicherung den arbeits- oder sozialgerichtlich den Status eines Arbeitnehmers bzw. eines sozialversicherungspflichtig Beschäftigten feststellen lassen. Für den Dienstherrn hat eine solche Feststellung empfindliche Folgen: In aller Regel hat der Dienstherr, der nun wider Willen Arbeitgeber ist, nachträglich Sozialabgaben und Lohnsteuern für den vermeintlich selbstständigen (also „scheinselbstständigen“) Mitarbeiter in beträchtlicher Höhe zu entrichten.

Die neue Entscheidung
Wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun entschieden hat, gehen für den freien Mitarbeiter, dem eine Arbeitnehmereigenschaft zugesprochen wird, nicht nur positive Wirkungen einher (vgl. BAG Urteil vom 26.06.2019 – 5 AZR 178/18). Denn der übliche Lohn eines Arbeitnehmers wird in aller Regel deutlich unterhalb der Entlohnung eines freien Mitarbeiters liegen. In Fortführung der bisherigen Rechtsprechung des BAG wurde nun klargestellt, dass die für das freie Dienstverhältnis individuell vereinbarte Vergütungshöhe nicht als maßgeblich für eine Beschäftigung im Arbeitsverhältnis angesehen werden kann, wenn keine von dem Arbeitnehmer darzulegenden Anhaltspunkte für eine Vergütung in gleicher Höhe sprechen.

Geklagt hatte die Arbeitgeberin eines IT-Mitarbeiters. Die Deutsche Rentenversicherung ließ auf Initiative des Mitarbeiters nach über acht Jahren „freier Mitarbeit“ nachträglich die Beschäftigteneigenschaft des Mitarbeiters feststellen. Anschließend verlangte die Arbeitgeberin teilweise Rückzahlung der geleisteten Vergütung. Im Ergebnis wurde ihr ein Rückzahlungsanspruch wegen zu viel entrichteten Entgelts in Höhe von über EUR 100.000 zugesprochen. Denn nach Dienstvertragsrecht wird eine „übliche Vergütung“ geschuldet, die bei Arbeitnehmern wegen der mit einem Arbeitsverhältnis einhergehenden Sicherheiten (Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Anspruch auf Erholungsurlaub, Kranken- und Sozialversicherung) in aller Regel deutlich geringer ausfällt als bei freien (selbstständigen) Mitarbeitern.

Dass die auf Rückzahlung gerichtete Klage der Arbeitgeberin mehr als fünf Jahre nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhoben wurde, sollte dem Anspruch nicht entgegenstehen. Das BAG wies die Einrede der Verjährung mit der Begründung zurück, dass die Arbeitgeberin zunächst die sozialgerichtliche Feststellung des Beschäftigtenstatus, die sich über mehrere Instanzen erstreckte, abwarten konnte. Denn die Erhebung einer verjährungshemmenden Zahlungsklage vor dem Arbeitsgericht war der Arbeitgeberin vor rechtskräftiger (sozialgerichtlicher) Feststellung des Beschäftigtenstatus nicht zumutbar. Sie hätte ihrer eigenen Rechtsauffassung zuwider in einem Parallelverfahren argumentieren müssen.

Bedeutung für die Praxis
Insbesondere in der IT-Branche und bei Unternehmensgründern ist der Zugriff auf freie und selbstständige Mitarbeiter sehr beliebt. Freie Mitarbeiter können deutlich flexibler und projektbezogen eingesetzt werden. Zudem kommt ihnen kein Kündigungsschutz zu und sie können meistens fristlos jederzeit entlassen werden. Die Vergütung freier Mitarbeiter wird zwar häufig höher sein als bei Arbeitnehmern. Mangels Lohnnebenkosten ist der tatsächliche finanzielle Aufwand für den Dienstherrn aber meistens nicht höher als bei der abhängigen Beschäftigung von Arbeitnehmern.

Der Dienstleistende hat zwar keine sozialversicherungsrechtliche Absicherung, wird aber im Regelfall einen deutlich höheren Anteil seiner Vergütung auch tatsächlich zu seiner Verfügung haben.

Die Entscheidung des BAG zeigt einmal mehr, dass die nachträgliche Feststellung des Status eines sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gut überlegt sein sollte. Wer nachträglich den Schutz des Sozialversicherungssystems in Anspruch nehmen möchte, muss mit Lohnrückforderungen seines früheren Dienstherrn rechnen.

VON ALLWÖRDEN Rechtsanwälte beraten zu allen Fragen des Dienstvertrags- und Arbeitsrechts. Sprechen Sie uns bei Bedarf gern an.

Crowdinvesting – Ein Überblick

Was ist Crowdinvesting?

Crowdinvesting (Schwarmfinanzierung) oder Crowdfunding ist eine alternative Finanzierungsform, bei der von vielen Anlegern Gelder eingesammelt werden. Crowdinvesting kann zur Finanzierung verschiedenster Projekte genutzt werden – neben Finanzierung einer Unternehmensgründung können beispielsweise auch bestimmte Projekte im Bereich der Filmfinanzierung oder auch Immobilen durch Crowdfunding finanziert werden. Crowdinvesting wird häufig über Internetplattformen organisiert. Bekannte Crowdinvesting-Plattformen sind beispielsweise Seedmatch und Companisto.

Welcher rechtliche Rahmen gilt hier?

Aus rechtlicher Sicht sind beim Crowdinvesting verschiedene Aspekte interessant: Zum einen die zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen den verschiedenen Beteiligten. Neben dem Unternehmer, der durch das Crowdinvesting Geld für ein Projekt einsammeln möchte, sind dies die Vielzahl von Anlegern sowie regelmäßig der Plattformbetreiber als weiterer Akteur. Zum anderen stellen sich regulatorische, also aufsichtsrechtliche Fragestellungen, d.h. insbesondere: Welcher besonderen Erlaubnisse bedarf es für den kapitalsuchenden Unternehmer und den Plattformbetreiber und welche Informationspflichten treffen den Unternehmer und den Plattformbetreiber einer Crowdfundingplattform gegenüber Anlageinteressenten?

Der Gesetzgeber hat bereits 2015 mit dem Kleinanlegerschutzgesetz auf das Phänomen des Crowdinvestings reagiert. Unter anderem wurde zum Schutz der Anleger eine Pflicht zur Erstellung eines Vermögensanlage-Informationsblattes nach dem Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) vom Gesetzgeber implementiert.

Benötigen die Anbieter eine Lizenz?

Die Lizenzpflichten des Plattformbetreibers hängen von der genauen Ausgestaltung des Geschäftsmodells ab. Denkbar ist beispielsweise, dass der Plattformbetreiber Finanzdienstleistungen oder Bankgeschäfte betreibt und einer entsprechenden Erlaubnis nach dem Kreditwesengesetz (KWG) bedarf. Erlaubnispflichten können sich auch aus dem Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG), dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) oder der Gewerbeordnung ergeben. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) als zuständige Behörde prüft in jedem Einzelfall, welche Erlaubnistatbestände einschlägig sind. Für den kapitalsuchenden Unternehmer stellt sich u.a. die Frage, ob er ein erlaubnispflichtiges Einlagengeschäft betreibt.

Wie ist der Vertrag zwischen Anbieter und Anlegern ausgestaltet?

Die Ausgestaltung der privatrechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen den Anlegern und dem Unternehmen, das Kapital einsammelt, sowie zwischen dem Plattformbetreiber, den Anlegern sowie dem Unternehmen kann ebenfalls variieren. Es bedarf stets einer Einzelfallprüfung. Denkbar ist beispielsweise, dass zwischen den Anlegern und dem kapitalaufnehmenden Unternehmen sog. partiarische (Nachrang-)Darlehen bestehen. Hierbei handelt es sich im Grundsatz um einen Darlehensvertrag im Sinne des § 488 BGB mit der Besonderheit, dass dem Darlehensgeber – im Falle des Crowdinvestings der Anleger – neben einem Anspruch auf Kapitalrückzahlung (sowie ggf. einem Zinsanspruch) auch einen Anspruch auf prozentuale Beteilung am Unternehmenserfolg zusteht. Sofern das Darlehen als Nachrangdarlehen ausgestaltet ist, wird der Darlehensgeber in der Insolvenz oder bei Liquidation des Darlehensnehmers erst nachranging, d.h. nach den anderen Insolvenzgläubigern, befriedigt. Andere zivilrechtliche Gestaltungen – z.B. eine echte gesellschaftsrechtliche Beteiligung der Anleger am Unternehmen – sind möglich.

Durch das Kleinanlegerschutzgesetz hat der Gesetzgeber in § 2d VermAnlG zudem ein besonderes Widerrufsrecht für das Crowdinvesting normiert – vergleichbar den gesetzlichen Widerrufsrechten im Onlinehandel oder bei Verbraucherdarlehensverträgen. Dieses Widerrufsrecht kann auch nicht zulasten des Anlegers ausgeschlossen werden.

VON ALLWÖRDEN Rechtsanwälte bei rechtlichen Fragen zum Thema Crowdinvesting. Unser Partner Dr. Sebastian von Allwörden ist Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht und berät laufend Startups und etablierte Dienstleister im Bereich Fintech, alternative Finanzierungsformen und Crowdinvesting.

Verjährungsbeginn bei unklarer Rechtslage

Beginnt die Verjährung auch, wenn wichtige Rechtsfragen für den Anspruch noch ungeklärt sind?

Dass zivilrechtliche Ansprüche einer Verjährung unterliegen, kann als allgemein bekannt bezeichnet werden. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt hat nun entschieden, dass die Verjährungsfrist auch dann beginnen kann, wenn eine für den Anspruch maßgebliche Rechtsfrage noch nicht durch den Bundesgerichtshof geklärt ist (Urteil v. 25.07.2019, Az. 1 U 169/18). Auch vor einem solchen klärenden höchstrichterlichen Urteil kann nämlich die Rechtslage – für einen rechtskundigen Berater – schon ausreichend klar sein, sodass dem Gläubiger eine Klageerhebung zumutbar ist.

Hintergrund für Interessierte: Das Recht der Verjährung im BGB
Die regelmäßige Verjährungsfrist im deutschen Zivilrecht beträgt drei Jahre (§ 195 BGB). Diese drei Jahre beginnen jedoch erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden und der Gläubiger „von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste“ (§ 199 BGB). Entsteht ein Anspruch also im Januar und hat der Gläubiger – was in der Regel der Fall ist – von den anspruchsbegründenden Umständen auch Kenntnis, so kann die regelmäßige Verjährungsfrist annähernd vier Jahre betragen, da die oben genannte Drei-Jahres-Frist erst am Schluss des Entstehungsjahres beginnt. Es existieren im deutschen Zivilrecht allerdings zahlreiche Ausnahmen, Höchstfristen und abweichende Verjährungsfristen für bestimmte Ansprüche, sodass die konkrete Verjährung im Einzelfall stets juristisch geprüft werden muss. Auch die genauen Voraussetzungen des Verjährungsbeginns sind oft Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen und bedürfen daher einer fachkundigen Prüfung.

In der oben genannten Entscheidung hat das OLG Frankfurt sich nun zu der Frage positioniert, wann von einer hinreichenden Kenntnis des Gläubigers von den „anspruchsbegründenden Umständen“ ausgegangen werden kann. Das Gesetz sieht, wie gesagt, vor, dass der Gläubiger die anspruchsbegründenden Umstände tatsächlich kannte oder „ohne grobe Fahrlässigkeit“ kennen musste. Mit anderen Worten: Ist der Gläubiger zwar in Unkenntnis über die anspruchsbegründenden Umstände, so beginnt gleichwohl die Verjährung, wenn diese Unkenntnis „grob fahrlässig“ war.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine solche grobe Fahrlässigkeit nicht vorliegt, wenn der Gläubiger aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen davon ausgehen durfte, dass er – aus rechtlichen Gründen – keinen Anspruch gegen den Schuldner hat. Existieren also z.B. Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, die in einer bestimmten Konstellation einen Anspruch verneinen, so beginnt die Verjährung dieses Anspruchs erst, wenn sich herausstellt, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung sich ändert und nun doch ein Anspruch angenommen wird. Vor einer solchen „Rechtsprechungs-Korrektur“ ist die Klageerhebung dem Gläubiger – wegen der bis dahin entgegenstehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung – nicht zumutbar. Solche Konstellationen hat es durchaus in der Praxis schon gegeben (man beachte jedoch die Verjährungshöchstfristen, die auch hier irgendwann einen zeitlichen „Schlussstrich“ setzen).

Schwieriger zu bewerten sind vor diesem Hintergrund Meinungsstreitigkeiten in der rechtswissenschaftlichen Literatur und Rechtsprechung, die noch nicht höchstrichterlich geklärt sind. Reicht es etwa für eine nicht grob fahrlässige „Unkenntnis“ des Gläubigers aus, dass die Frage, ob ein Anspruch besteht oder nicht, von verschiedenen Instanzgerichten unterschiedlich beantwortet und in der Literatur kontrovers diskutiert wird? Oder beginnt auch in einem solchen Fall die Verjährung des Anspruchs im Jahr seiner Entstehung?

Die Rechtsprechung legt hier strenge Maßstäbe an: Eine „unklare Rechtslage“ führt nicht automatisch dazu, dass die Verjährung nicht beginnt. Gläubiger sind vielmehr verpflichtet, das Bestehen von Ansprüchen im Zweifel juristisch prüfen zu lassen. Erst wenn auch ein rechtskundiger Berater, also insbesondere ein Rechtsanwalt, nicht in der Lage ist, das Bestehen eines Anspruchs zuverlässig einzuschätzen, kann der Verjährungsbeginn in seltenen Fällen tatsächlich bis zur Klärung der streitigen Frage aufgeschoben sein. Dies ist, so das OLG Frankfurt, jedoch nicht automatisch dann der Fall, wenn eine unklare Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Auch wenn also noch kein „BGH-Urteil“ in einer bestimmten Rechtsfrage existiert, kann die Verjährung eines Anspruchs durchaus beginnen.

So hat das OLG Frankfurt in dem entschiedenen Fall eine Verjährung des Anspruchs angenommen: Aus Sicht des OLG war das Abwarten der späteren BGH-Entscheidung nicht erforderlich, um die für den Verjährungsbeginn maßgebliche „Kenntnis“ der anspruchsbegründenden Umstände zu erlangen. Die Rechtslage war auch vor der BGH-Entscheidung für einen Rechtskundigen schon so übersichtlich, dass eine Klageerhebung dem Gläubiger zumutbar gewesen wäre.

VON ALLWÖRDEN Rechtsanwälte beraten Sie gern zu zivil- und prozessrechtlichen Fragestellungen.

Zur (un)zulässigen Verdachtsberichterstattung

Wird in Medien über Ermittlungsverfahren und Strafprozesse berichtet, gelten strenge Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung. Die Medienberichte bewegen sich im Spannungsfeld zwischen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Person – insbesondere dem Schutz vor einer medialen Vorverurteilung – einerseits und einem öffentlichen Informationsinteresse der Bevölkerung an Ermittlungs- und Strafverfahren andererseits.

Unter welchen Voraussetzungen ist Verdachtsberichterstattung zulässig?

Unter welchen Umständen eine Verdachtsberichterstattung, die naturgemäß die Verbreitung nicht erwiesener Tatsachen zum Gegenstand hat, zulässig ist, beschäftigt seit jeher die deutschen Gerichte. Dabei wurden in höchstrichterlicher Rechtsprechung die folgenden Zulässigkeitskriterien herausgebildet: Es muss ein sogenannter Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegen, aus dem der Verdacht hervorgeht. Der Betroffene darf durch die Berichterstattung nicht vorverurteilt werden, die Darstellung muss also als Verdacht und ergebnisoffen erfolgen. Darüber hinaus muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, so dass ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit besteht. Der betroffenen Person ist immer zwingend eine Gelegenheit zur Stellungnahme zu bieten.

Dass diese im Grundsatz geltenden Kriterien in der Praxis regelmäßig zu juristischen Auseinandersetzungen führen, erklärt sich fast schon von selbst. Denn über die genauen Anforderungen an jedes Kriterium lässt sich im Einzelfall trefflich streiten. Es stellt sich dabei immer die Rechtsfrage, ob eine Verdachtsberichterstattung in den Täter identifizierender Weise rechtmäßig ist oder eine anonymisierte Darstellung erforderlich und zur Befriedigung des öffentlichen Informationsinteresses ausreichend gewesen wäre.

Aktuelle Entwicklungen

Aktuell hatte sich das Landgericht Köln mit der Frage nach der Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung zu beschäftigen (Landgericht Köln, Beschluss vom 18.09.2019 – 29 O 344/19). Mit der Entscheidung wurde dem Verlag einer Boulevard-Zeitung untersagt, über das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen einen bekannten Fußballspieler wegen des Verdachts, kinderpornografische Inhalte verbreitet zu haben, zu berichten. Nach Auffassung des Gerichts habe die Bildberichterstattung nach ihrem Gesamteindruck den Betroffenen in unzulässiger Weise vorverurteilt. Überdies habe es an einem Mindestbestand an Beweistatsachen gefehlt, der für eine Richtigkeit des Verdachts hätte sprechen können.

VON ALLWÖRDEN Rechtsanwälte beraten Sie gern in Fragen des Medien-und Presserechts.

Arbeitnehmererfindervergütung: Offenlegung von Unternehmenskaufvertrag kann verlangt werden

Ein mittlerweile verrenteter Arbeitnehmer, der bei seinem ehemaligen Arbeitgeber ein Getriebe für Windkraftanlagen erfunden hat, war vor dem LG Mannheim (Urteil vom 19.11.2019 – 2 O 2/19, rechtskräftig) mit der Geltendmachung eines Anspruchs auf Offenlegung eines Unternehmenskaufvertrags erfolgreich.

Die maßgebliche Getriebe-Sparte des Arbeitgebers wurde im Jahr 2015 an ein anderes Unternehmen veräußert. Der Erfinder verlangte vor dem Landgericht nun Offenlegung des damals geschlossenen Unternehmenskaufvertrags, da er nur so die Angemessenheit seiner Arbeitnehmererfindervergütung (§ 9 Abs. 1 Arbeitnehmererfindungsgesetz) beurteilen könne.

Das Landgericht Mannheim verurteilte den Getriebehersteller daraufhin zu einer umfassenden Offen- und Rechnungslegung hinsichtlich der betriebswirtschaftlichen Werte des erfundenen Getriebes. Dazu gehört auch die Offenlegung des Unternehmenskaufvertrags aus dem Jahr 2015.

Der Getriebehersteller setzte sich mit Geheimhaltungsinteressen zur Wehr, die unter anderem aus vertraglichen Geheimhaltungspflichten (NDA) in dem Unternehmenskaufvertrag selbst resultieren sollten. Dieses Vorbringen des ehemaligen Arbeitgebers erfolgte jedoch erst nach der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Mannheim und war damit prozessual verspätet.

Selbst bei rechtzeitigem Vorbringen wäre jedoch fraglich, ob eine solche Geheimhaltungsvereinbarung zwischen Käufer und Verkäufer in einem Unternehmenskaufvertrag ausreicht, um den Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch des Arbeitnehmererfinders abzuwehren – grundsätzlich sind vertragliche Regelungen, die Benachteiligungen Dritter bewirken, welche nicht selbst Vertragspartei sind, nämlich gegenüber diesen Dritten unwirksam („keine Verträge zulasten Dritter“).

Diese aktuelle Entscheidung zeigt erneut, wie wichtig eine fundierte rechtliche Beratung im Zusammenhang mit dem Arbeitnehmererfinderrecht – gerade bei Unternehmen, die selbst im Bereich der Entwicklung tätig sind – ist.

VON ALLWÖRDEN Rechtsanwälte beraten Sie gern zu Fragen rund um das Arbeitnehmererfinderrecht sowie Themen im Bereich Forschung und Entwicklung (Research & Development).

Wettbewerbswidriger Abdruck einer Pressemitteilung

Die fast wörtliche Veröffentlichung einer Pressemitteilung kann wettbewerbswidrig sein, wenn der Presseartikel über ein Unternehmen durch die Leserschaft als unabhängige Berichterstattung wahrgenommen und das Unternehmen überaus positiv dargestellt wird.

Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. bewertete die Veröffentlichung einer Pressemitteilung in einer unanfechtbaren Entscheidung als unzulässige Schleichwerbung seitens eines Presseverlags (Beschluss v. 22.08.2019 – 6 W 64/19). Wettbewerbsrechtlich gelten getarnte geschäftliche Handlungen im Sinne des § 5a Abs. 6 UWG grundsätzlich als unlauter. Die Veröffentlichung eines Presseartikels stelle wegen der objektiven Förderung fremden Absatzes eine geschäftliche Handlung zugunsten eines Unternehmens dar, wenn es nicht vorrangig um die sachliche Information und Meinungsbildung der Leser gehe.

Dem Beschluss lag die redaktionelle Veröffentlichung einer Pressemitteilung zugrunde, in der über eine Spende eines Unternehmens berichtet wurde. Dabei wurden Politiker mit positiven Äußerungen in Bezug auf dieses Unternehmen zitiert. Der Artikel hätte nach Auffassung des Gerichts mit „Anzeige“ oder „Werbung“ gekennzeichnet werden müssen, da bei der Leserschaft der unzutreffende Eindruck erweckt wurde, Journalisten hätten den Bericht recherchiert und Interviews geführt.

Bei der Feststellung einer Wettbewerbswidrigkeit müssen stets die gesamten Umstände einer Veröffentlichung berücksichtigt werden. Positive Berichterstattungen bewegen sich oft im Spannungsfeld zwischen Pressefreiheit und geschäftlichen Handlungen.

VON ALLWÖRDEN Rechtsanwälte beraten Sie gern in Rechtsfragen aus dem Bereich der Öffentlichkeits- und Pressearbeit.

Verbraucherschutz bei Kreditaufnahme durch Existenzgründer

Sind Gründer bei der Kreditaufnahme Unternehmer oder Verbraucher?

Grundsätzlich muss im Bereich des Kreditrechts unterschieden werden zwischen Verbraucherkrediten und Krediten an Unternehmer. Es versteht sich von selbst, dass der Schutz der Verbraucher hier erheblich stärker ausgestaltet ist als der Schutz von Unternehmenskunden der Bank oder Sparkasse.

Ein häufig unterschätzter rechtlicher Schutzmechanismus greift bei Darlehensaufnahmen durch Existenzgründer, soweit der Kreditbetrag EUR 75.000 nicht übersteigt. Nehmen Gründer bei einem Kreditinstitut Fremdkapital bis zu diesem Betrag auf und dient der Kredit der „Aufnahme einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit“, so gilt gemäß § 513 BGB zugunsten des Gründers das Verbraucherkreditrecht.

Welche Vorteile hat die Regelung in § 513 BGB für Gründer?

Die Anwendung des Verbraucherkreditrechts hat für den Gründer erhebliche Vorteile. So steht ihm im Zusammenhang mit der Darlehensaufnahme etwa ein 14-tägiges Widerrufsrecht zu. Auch z.B. im Hinblick auf Kündigungsmöglichkeiten des Darlehensnehmers und der Bank, Vorfälligkeitsentschädigungen und Gebühren ist der Darlehensnehmer eines Verbraucherkreditvertrags im Vergleich zu sonstigen Kreditnehmern bessergestellt.

Die Voraussetzungen des § 513 BGB sollten jedoch im Einzelfall sorgfältig geprüft werden. So muss Zweck der Kreditaufnahme die Gründung eines Unternehmens sein, nicht z.B. die Erweiterung eines bestehenden Unternehmens oder eine Anschlussfinanzierung. Ob der Gründer bereits ein weiteres Unternehmen betreibt ist dagegen unbeachtlich: Solange die Unternehmen nicht „in Zusammenhang“ miteinander stehen, greift der Schutz des § 513 BGB nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch in diesem Fall.

Was gilt bei mehreren Krediten, die insgesamt die EUR 75.000-Grenze überschreiten?

Nimmt ein Existenzgründer mehrere Kredite auf, die je einzeln einen Nettodarlehensbetrag von weniger als EUR 75.000 aufweisen, jedoch zusammengerechnet die Grenze überschreiten, muss unterschieden werden: Kredite desselben Kreditgebers, die zeitlich und wirtschaftlich in engem Zusammenhang stehen, werden zusammengerechnet, sodass zumindest der Kreditvertrag, mit dem die EUR 75.000-Grenze überschritten wird, keinen Verbraucherschutz mehr genießt. Mehrere Kredite verschiedener Darlehensgeber werden jedoch getrennt betrachtet. Dies ist für viele Gründer relevant, da oft Fremdfinanzierungen aus unterschiedlichen Quellen (Förderbanken, Privatbanken, Sparkassen) erfolgen.

VON ALLWÖRDEN Rechtsanwälte berät Startups und Existenzgründer umfassend zu finanzierungsrechtlichen Fragen sowie in weiteren relevanten Bereichen wie z.B. Handels- und Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht, Markenrecht.

Einladung zur Gesellschafterversammlung per E-Mail

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat sich zu den Auswirkungen einer Einladung zu einer GmbH-Gesellschafterversammlung per E-Mail positioniert (OLG Stuttgart, Urteil vom 27.6.2018, Az. 14 U 33/1).

Geklagt hatte ein Minderheitsgesellschafter einer GmbH. In einer Gesellschafterversammlung wurde die Einziehung seiner Anteile beschlossen. Zu dieser Gesellschafterversammlung wurde der Kläger nicht innerhalb der Wochenfrist des § 51 Abs. 1 S. 2 GmbHG mit eingeschriebenem Brief geladen. Dem Kläger ging allerdings innerhalb der Einladungsfrist eine Einladung per E-Mail sowie nach Ablauf der Einladungsfrist eine weitere Einladung per Einschreiben zu. Gegen den Einziehungsbeschluss klagte der Kläger mit der Begründung, die Gesellschafterversammlung sei nicht ordnungsgemäß einberufen worden. Das Landgericht Ravensburg hatte der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der beklagten Gesellschaft hob das OLG Stuttgart das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab.

Das OLG Stuttgart hält den Einziehungsbeschluss für rechtmäßig. Zwar erfülle die Einladung per E-Mail nicht die Formvorschrift des § 51 Abs. 1 S. 1 GmbHG, wonach die Einladung der Gesellschafter zur Gesellschafterversammlung mittels eingeschriebenen Briefs zu erfolgen hat. Auch ging die weitere Einladung per Einschreiben nicht innerhalb der Wochenfrist des § 51 Abs. 1 S. 2 GmbHG zu. Nach Ansicht des OLG Stuttgart war der Beschluss aber weder nichtig noch anfechtbar. Ein Verstoß gegen § 51 Abs. 1 GmbHG führe nur dann zur Nichtigkeit des Beschlusses, wenn der Mangel so gravierend sei, dass er einer Nichteinladung des betroffenen Gesellschafters gleichkomme. Eine Anfechtbarkeit eines Gesellschafterbeschlusses komme nur in Betracht, wenn durch den Formfehler das Mitgliedschafts- bzw. Partizipationsrecht des Gesellschafters derart beeinträchtigt wird, dass dem Beschluss nach wertender Betrachtung ein Legitimationsdefizit anhaftet. Beides verneinte das OLG Stuttgart im konkreten Fall, weil der Kläger u.a. durch die Einladung per E-Mail innerhalb der Wochenfrist vom Inhalt der Einladung Kenntnis genommen hatte, ihm ein Einschreiben noch vor der Versammlung zugegangen war und er an der Versammlung teilgenommen hatte, ohne eine Beeinträchtigung seines Teilnahmerechts geltend zu machen.

Aus Gründen der Rechtssicherheit sollten Einladungen zur Gesellschafterversammlung unter Wahrung der Anforderungen aus § 51 Abs. 1 S. 1 GmbHG immer per Einschreiben erfolgen. VON ALLWÖRDEN Rechtsanwälte beraten Sie gern zu gesellschaftsrechtlichen Fragen.

Zu den Löschpflichten von Portalbetreibern

Der EuGH hat in einer neuen Entscheidung die Verpflichtungen der Betreiber von Online-Portalen wie Twitter, Instagram, YouTube und Co. für den Fall definiert, dass über eine Plattform rechtswidrige Beleidigungen veröffentlicht und verbreitet werden (EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2019 – C-18/18).

Dem Urteil ging die Klage einer österreichischen Politikerin voraus, die sich zahlreichen beleidigenden Kommentaren über das soziale Netzwerk Facebook ausgesetzt sah. Die Klägerin wollte erreichen, dass nicht nur einzelne und konkret benannte Äußerungen, sondern sämtliche sie betreffende Beleidigungen im Zusammenhang mit politischem Engagement für Flüchtlinge gelöscht werden. Der EuGH hatte daher die Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr (RL 2003/31/EG) auszulegen und die Frage zu klären, ob dem Betreiber eines Portals die Suche nach sinngleichen und auch nach ähnlichen Äußerungen zum Zwecke einer Löschung auferlegt werden kann.

Im Grundsatz gilt nach wie vor, dass ein Hosting-Anbieter nur dann für rechtswidrige Inhalte zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn er über die konkreten Inhalte und deren Rechtswidrigkeit in Kenntnis gesetzt wurde (sog. „Notice and take down“). Aktive Überwachungs- und Nachforschungsverpflichtungen treffen die Betreiber von Portalen eigentlich nicht, da sie nur die Plattform für fremde Inhalte zur Verfügung stellen. Diesen Grundsatz modifizierte der EuGH nun insofern, als dass es Portalbetreibern unter Umständen zugemutet werden soll, sinngleiche Inhalte ebenfalls zu löschen.

Eine Löschpflicht soll – nach entsprechender Aufforderung – auch auf gleichlautende, ähnliche und sinngleiche Kommentare ausgedehnt werden können, wenn die Äußerungen in ihren Einzelheiten derart genau beschrieben werden, dass es dem Portalbetreiber möglich ist, sie mittels automatisierter Techniken zu ermitteln. Es müssen demnach Einzelheiten von der Äußerung umfasst sein, die in der gerichtlichen Unterlassungsverfügung genau bezeichnet sind. Dies dürfte regelmäßig der Fall sein, wenn beleidigende Kommentare sich auf ein bestimmtes Ereignis beziehen.

Jedenfalls darf die Verpflichtung nur so weit reichen, wie sie durch den Einsatz technischer Mittel erfüllt werden kann. Der Einsatz von Mitarbeitern zur Nachforschung und Überwachung könne den Hosting-Anbietern hingegen nicht zugemutet werden. Nach dem Urteil des EuGH gilt die Löschpflicht weltweit und ist – entgegen der nationalen Rechtsprechung aus Österreich – nicht auf das Gebiet des Mitgliedsstaates beschränkt.

Auch die deutschen Gerichte können damit künftig den Betreibern von Portalen und Netzwerken Verpflichtungen auferlegen, wonach wort- und sinngleiche (rechtswidrige) Äußerungen gesucht und gelöscht werden müssen.

VON ALLWÖRDEN Rechtsanwälte berät Sie gern in Fragen des Internet- und Äußerungsrechts.

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